„Anatomischer Inspektionskurs im Rahmen der generalistischen Ausbildung zur Pflegefachfrau / zum Pflegefachmann“ – das klingt erst einmal sperrig, hat es aber in sich. Es ist ein einmaliges Projekt, was Dawid Mierzwa zusammen mit der Dr. Senckenbergischen Anatomie auf die Beine gestellt hat. Auszubildende der Goethe-Pflegeakademie am Gesundheitscampus Universitätsmedizin Frankfurt Rhein-Main erhalten nach einer theoretischen Vorbereitung Lerneinheiten zu einzelnen Organsystemen – und das direkt am anatomischen Präparat aus dem in der Dr. Senckenbergischen Anatomie gepflegten Körperspendewesen.

Der Medizinstudent Mierzwa, der gleichzeitig auch als Lehrkraft für Bezugswissenschaften an der Goethe-Pflegeakademie arbeitet, ist von dem Projekt überzeugt: „Ein fundiertes anatomisch-physiologisches Wissen ist für die Handlungssicherheit in der pflegerischen Praxis von großer Bedeutung.“ Gleichzeitig wird mit diesem interprofessionellen Projekt die besondere Qualität der Lehre herausgestellt: „Hier haben die Auszubildenden die Möglichkeit, Anatomie zu lernen, wie es ein Buch niemals vermitteln könnte“, sagt Mierzwa.
Auf Seiten der Dr. Senckenbergischen Anatomie liegt die Projektleitung bei PD Dr. Christof Schomerus. „Anatomie muss man begreifen, wenn man Anatomie verstehen will“, sagt der Dozent für Anatomie. Als Prosektor des Instituts ist er außerdem für das Körperspendewesen verantwortlich. „Anatomie ist eine unverzichtbare Grundlage für viele Fächer – das gilt insbesondere auch für Pflegeschülerinnen und -schüler“, betont Dr. Schomerus. Die Auszubildenden der Pflege werden zunächst theoretisch mit einer Vorlesung auf den anatomischen Einblick vorbereitet, übrigens gemeinsam mit den Studierenden der Human- und Zahnmedizin des ersten. Semesters. Dort lernen sie nicht nur die Grundlagen der Anatomie, sondern auch das Körperspendewesen kennen. „Es geht eben auch darum, wo die Leichen herkommen, die wir verwenden. Es handelt sich um die Körper von Personen, die zu Lebzeiten an unser Institut herangetreten sind und ihren Leichnam der Anatomie vermacht haben“, erklärt PD Dr. Schomerus.

Aber wie geht es Schülerinnen und Schülern, die erstmalig einem Spenderkörper gegenübertreten? „Da muss man sehr einfühlsam sein und die richtigen Worte finden, damit sie diesen kleinen Schock auch gut überstehen“, sagt PD Dr. Schomerus. „Und wenn das mal nicht gelingt, kann in Ausnahmefällen auch diese Liege benutzt werden“, erklärt der Dozent für Anatomie und zeigt auf eine lange Klapp-Liege. Das passiert zum Glück nur wenigen. Ein möglicher erster Schrecken wird oft auch schnell abgelegt durch die entstandene Neugier, weiß Mierzwa aus dem ersten Durchgang zu berichten: „Das ist ja genau das, was das Projekt so besonders macht: Es ist eine sehr besondere Gelegenheit, Anatomie zu lernen, wie es sonst niemals verfügbar ist.“.
Mit einem Klischee kann PD Dr. Schomerus ohnehin aufräumen. Er zeigt auf eine Reihe von Tischen, die mit großen und breiten Schläuchen mit der Abluft verbunden sind. „Wir haben hier eine sogenannte Tischabsaugung. Schadstoffe, zum Beispiel Reste von Formaldehyd, werden direkt vom Tisch abgesaugt und nach draußen transportiert“, erklärt der Dozent. „Pro Stunde haben wir hier einen 30-fachen Luftaustausch. Die Zeiten, in denen es in der Anatomie müffelt, sind längst vorbei.“

