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Institut für Rechtsmedizin
Institut für Rechtsmedizin
Universitätsklinikum Frankfurt
Kennedyallee 104
Haus 44
60596 Frankfurt am Main
Leiterin:
Prof. Dr. S. Kauferstein
Sekretariat:
Birgit Reyer
Tel.: +49 69 / 6301 - 7587
Fax: +49 69 / 6301 - 85995
reyer@med.uni-frankfurt.de
Was versteht man unter Ionenkanalerkrankungen?
Unter dem Begriff „Ionenkanalerkrankungen“ werden klinische Erscheinungsbilder zusammengefasst, die durch genetisch bedingte Funktionsstörungen verschiedenster Ionenkanäle hervorgerufen werden.
Ionenkanäle sind Proteine in der Zellmembran, die selektive Poren für bestimmte Ionen (Natrium-, Kalium-, Calcium- und Chlorid-Ionen) besitzen. Sie bilden die Grundlage für die elektrische Erregbarkeit von Zellen. Im Herzen setzen sie das elektrische Signal (Aktionspotenzial) in eine mechanische Muskelkontraktion um. Dies erfordert ein komplexes Zusammenspiel verschiedenster Ionenkanäle, d.h. eine präzise Steuerung des Öffnens und Schließens der Kanäle. Ist dieses Schaltverhalten gestört, etwa durch einen veränderten Ionenkanal, kann es zu Rhythmusstörungen im Herzen kommen. Ionenkanalerkrankungen umfassen eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, bedingt durch Mutationen in Genen, die für Ionenkanäle, deren Untereinheiten oder mit ihnen verbundene Proteine codieren.
Die häufigsten kardialen Ionenkanalerkrankungen sind das Long QT-Syndrom (LQTS), das Brugada-Syndrom (BrS), das Short QT-Syndrom und die catecholaminerge polymorphe ventrikuläre Tachykardie (CPVT). Es sind seltene Erkrankungen mit einer Prävalenz von ca. 1:2000‑1:10.000. Viele der mit diesen Erkrankungen assoziierten Mutationen betreffen kardiale Natrium-, Kalium- oder Calcium- Ionenkanäle und führen zu einer pathologischen Störung des Aktionspotentials oder des Calcium-Gleichgewichts am Herzen.
Ionenkanalerkrankungen des Herzens können klinisch anhand charakteristischer Veränderungen im Elektrokardiogramm (EKG) diagnostiziert werden. Jedoch zeigen die auftretenden Erscheinungsbilder (Phänotypen) dieser Erkrankungen eine erhebliche klinische Varianz, was die Diagnose zum Teil erschwert. So sind oftmals auch die elektrokardiographischen Befunde nicht eindeutig pathologisch oder treten nur unter Belastung auf.
Das Long QT-Syndrom (LQTS)
Das kongenitale LQT-Syndrom ist eine genetisch heterogene Erkrankung, die oft aber nicht zwingend im EKG durch eine Verlängerung der QT-Zeit gekennzeichnet ist. Es gibt auch erworbene LQT-Syndrome wie z. B. nach Einnahme von QT-Zeit verlängernden Medikamenten. Die klinische Symptomatik variiert sehr stark, von Symptomlosigkeit bis zu Episoden mit Synkopen und plötzlichem Herztod durch Herzrhythmusstörungen (Torsades de Pointes-Tachykardien) bei einem anatomisch unauffälligen Herzen. Die Verlängerung des QT-Intervalls ist Folge einer gestörten Repolarisation durch Kalium-Ströme oder eines verzögerten Einströmens von Natriumionen in die Herzzelle. Jedes Gen, das von Mutationen betroffen ist, wird getrennt klassifiziert, sodass zurzeit etwa 17 Formen eines LQTS unterschieden werden. In ca. 75% der klinisch gesicherten Fälle können Mutationen in einem von fünf kardialen Ionenkanal-Genen nachgewiesen werden. Diese codieren für repolarisierende Kalium-Kanäle (KCNQ1, KCNH2, KCNE1, KCNE2) sowie einen Natrium-Kanal (SCN5A).
Das Brugada-Syndrom (BrS)
Das Brugada-Syndrom ist eine bedeutende Ursache des plötzlichen Herztodes. Charakteristisch für ein Brugada-Syndrom ist eine schulterförmige ST-Hebung im EKG bei atypischem Rechtsschenkelblock in den Ableitungen V1 bis V3. Diese Veränderungen können ebenfalls nur intermittierend auftreten. Mittels bestimmter Medikamente ist es möglich, diese Veränderungen zu demaskieren, wenn sie nicht ständig zu sehen sind. Männer mit Brugada-Syndrom haben häufiger Symptome, typischerweise im Alter von 30 bis 40 Jahren. Circa 25 Prozent der Patienten mit Brugada-Syndrom weisen eine Mutation im SCN5A-Gen auf, welches den kardialen Natriumkanal codiert. Bei betroffenen Patienten wurden außerdem Mutationen in Genen gefunden, welche regulierend auf den Natriumkanal wirken. Ebenso konnten Mutationen im L-Typ des Calciumkanals gefunden werden. Jedoch sind die genetischen Grundlagen in ca. 70% der Fälle noch nicht hinreichend geklärt.
Das Short QT-Syndrom (SQTS)
Das SQTS ist durch ein zu kurzes QT-Intervall und hohe bzw. spitze T-Wellen charakterisiert. Das Risiko für Synkopen, Kammertachykardien und plötzlichen Herztod ist erhöht. Als molekulare Grundlage des SQTS konnten bislang Mutationen in kardialen Kaliumkanälen-Genen (KCNQ1, KCNH2 und KCNJ2) nachgewiesen werden. Als Folge jeder dieser Mutationen kommt es zu einer Zunahme des Ionenflusses in den betroffenen Kanälen, was zu einer beschleunigten Repolarisation und damit zu einem verkürzten Aktionspotential führt. In seltenen Fällen sind Kalziumkanäle-Gene (CACNA1C, CACNB2 und CACNA2D1) von einem Funktionsverlust betroffen. Allerdings findet man derzeit nur selten eine genetische Veränderung, so dass die genaue Ursache in den meisten Fällen noch unklar ist.
Krankheiten, die mit einer Fehlfunktion des Calciumkanals assoziiert sind
Calciumionen sind in der Phase 2 des Aktionspotenzials am Herzen involviert und bewirken die vermehrte Freisetzung von Calcium aus dem sarkoplasmatischen Retikulum der Zelle, welches als Speicher von Calcium im Skelett- und Herzmuskel fungiert. So sind Fehlfunktionen von Calciumkanälen auch für andere Krankheiten ursächlich: eine Kombination des BrS mit einem kürzeren QT-Intervall, das Timothy Syndrom (TS) und die catecholaminerge polymorphe ventrikuläre Tachykardie (CPVT).
Die catecholaminerge polymorphe ventrikuläre Tachykardie (CPVT)
Die von einer CPVT betroffenen Patienten sind einem deutlich erhöhten Risiko für Synkopen und einem plötzlichen Herztod bei schneller Herzfrequenz ausgesetzt. Typisch sind bidirektionale oder polymorphe ventrikuläre Tachykardien bei physischem oder psychischem Stress.
Die Patienten weisen oft ein unauffälliges Ruhe-EKG auf, doch können adrenerge Reize (körperliche Anstrengung, Angst etc.) zu Synkopen und einem plötzlichen Herztod führen.
Bei 40‑70% der CPVT-Patienten können ursächliche Mutationen im Ryanodin Typ 2‑Rezeptor-Gen (RYR2) identifiziert werden. Das RYR2‑Gen codiert für den kardialen Ryanodin-Rezeptor, den wichtigsten Ca++-freisetzenden Kanal des sarkoplasmatischen Retikulums (SR), der eine zentrale Rolle bei der Aktivierung der Kardiomyozyten spielt. Seltener sind Mutationen im Calsequestrin-Gen (CASQ2 ) zu finden.
Das Timothy-Syndrom (TS)
Das Timothy-Syndrom ist eine Multisystem-Krankheit (Herz, Hand, Gesicht, Nervensystem) mit verlängerter QT-Zeit, charakteristischen Veränderungen von Fingern, Zehen ('Schwimmhäute`) und des Gesichts sowie manchmal Zeichen einer Autismusspektrum-Erkrankung. Weltweit wurden weniger als 20 Fälle beschrieben. Ursache sind Mutationen im CACNA1C-Gen, welches für eine Kalziumkanal-Untereinheit kodiert. TS wird auch als LQTS Typ 8 bezeichnet.
Was ist eine Kardiomyopathie?
Unter dem Begriff Kardiomyopathie fast man eine Reihe von Erkrankungen des Herzmuskels zusammen, die zu einer verminderten Leistung des Herzens führen. Der Herzmuskel ist bei einer Kardiomyopathie verändert und das Herz kann nicht mehr richtig arbeiten. Kardiomyopathien können angeboren (primär) oder erworbenen (sekundär) sein.
Ursachen
Primäre Herzmuskelerkrankungen können genetisch bedingt sein. Nachkommen von Patienten mit dieser Erkrankung können dann ein höheres Risiko haben, ebenfalls daran zu erkranken. Die Krankheit zeigt sich manchmal direkt nach der Geburt, kann aber auch erst im Laufe des weiteren Lebens auftreten.
Sekundäre Herzmuskelerkrankungen entstehen aus anderen Ursachen heraus, welche auch andere Organe des Körpers betreffen können. Die schädliche Wirkung von Drogen und Alkohol kann ebenfalls als Auslöser in Frage kommen.
Drei Beispiele für Kardiomyopathien:
Dilatative Kardiomyopathie
Die Häufigkeit der dilatative Kardiomyopathie (DCM) liegt bei etwa 1:1200. Bei dieser Erkrankung ist der Herzmuskel schwächer, seine Struktur wird dünner und es kommt zu einer Erweiterung der Herzkammern und Vorhöfe. Das Herz ist nicht mehr in der Lage, den Körper mit ausreichend Blut zu versorgen. Männer sind zwei bis dreimal häufiger betroffen als Frauen. Bei ca. 1/3 aller Fälle von DCM geht man von einer genetischen Komponente aus, da sie familiär gehäuft auftreten (fDCM).
Durch die geänderte Struktur des Herzens, kann es auch zu einer geänderten Reizweiterleitung kommen, welche zu Rhythmusstörungen oder im schlimmsten Fall zu einem plötzlichen Herztod führen kann. Symptome einer DCM können die einer typischen Herzschwäche (verminderte Leistungsfähigkeit, Atemnot, Wasser in Lunge und Beinen) sein oder es stehen Herzrhythmusstörungen im Vordergrund.
Im Rahmen einer Behandlung der DCM werden unter anderem die Symptome gelindert und das Fortschreiten der Erkrankung wird eingedämmt. Als Therapie kommen verschiedene Medikamente zum Einsatz. Ein individuell angepasster Lebensstil wird häufig mit dem Arzt entwickelt. Bei fortschreitender Erkrankung kann das Einsetzen eines Herzschrittmachers oder auch Defibrillators sinnvoll sein. Ca. 5‑10 % der Patienten mit einer familiären DCM bzw. einer DCM aus unklarer Ursache, tragen eine Variante im LMNA-Gen, das für Strukturproteine der inneren Zellkernmembran codiert. Ungefähr ein Viertel aller Fälle tragen Varianten in kontraktilen Proteinen des Sarkomers.
Hypertrophe Kardiomyopathie
Die hypertrophe Kardiomyopathie (HCM) betrifft schätzungsweise 1 von 500 Menschen. Diese Erkrankung wird definiert durch eine pathologische Wanddicke des linken Ventrikels von ≥15 mm in einem oder mehreren Segmenten. Die HCM wird in eine obstruktive und in eine nicht obstruktive Form unterteilt. Bei der obstruktiven Form kommt es zu einer Verengung des Ausflusstaktes der linken Herzkammer durch den verdickten Herzmuskel. Als Folge ist der Blutfluss aus dem Herzen in die Hauptschlagader eingeschränkt. Die klinische Ausprägung der HCM ist äußerst variabel und kann vom asymptomatischen Patienten mit einer normalen Lebenserwartung bis hin zum vorzeitigen Tod wegen ventrikulärer Rhythmusstörungen, Herzinsuffizienz und/oder Schlaganfällen reichen. Wichtig ist daher eine frühzeitige Erkennung von potentiell bedrohlichen Krankheitsverläufen und der Beginn einer entsprechenden Therapie. Bei jungen Menschen die an einem plötzlichen Herztod verstorben sind, insbesondere bei sehr aktiven Sportlern, ist sie eine relativ häufige Todesursache. Manchmal verläuft die Erkrankung mild und es ist keine Therapie nötig. Kommt es zu ausgeprägten Rhythmusstörungen kann medikamentös oder mit dem Einsatz eines Herzschrittmachers mit oder ohne Defibrillator behandelt werden. Verschiedene chirurgische Maßnahmen stehen ebenfalls zur Verfügung, falls die Dicke des Herzmuskels ggf. die Strömung des Blutes hindert. Bei Patienten mit einer diagnostizierten HCM ist in 60–70% der Fälle eine genetische Mutation für die Erkrankung verantwortlich. Überwiegend finden sich genetische Veränderungen in kontraktilen Proteinen des Sarkomers.
Arrhythmogene Kardiomyopahtie
Die arrhythmogene Kardiomyopathie (ACM) ist eine Erkrankung, welche im Kindes- oder jungen Erwachsenenalter in Erscheinung auftreten kann. Durch die Einlagerung von Bindegewebe und/oder Fettgewebe im Muskelgewebe der rechten und manchmal auch der linken Herzkammer entsteht eine Neigung zu Herzrhythmusstörungen und es kann sich die Herzmuskulatur immer schlechter zusammenziehen und immer weniger Blut in den Kreislauf pumpen. Eine ACM kann somit im weiteren Verlauf mit einer Leistungsschwäche des Herzens einhergehen, wie auch mit schwerwiegenden Rhythmusstörungen. Die ACM betriff etwa 1 von 2000 Menschen. Da die Erkrankung oft unbemerkt bleibt, kann ein plötzlicher Herztod noch vor Diagnosestellung das erste Symptom sein. Man schätzt, dass bis zu einem Drittel der Betroffenen noch vor der Diagnosestellung versterben. Ein Teil der Patienten bleibt jedoch auch bis in das hohe Lebensalter hinein asymptomatisch. Bei ca. 50 – 60% der Patienten mit einer ACM kann eine Mutation in desmosomalen Genen nachgewiesen werden. Wenn hauptsächlich die rechte Herzkammer betroffen ist, spricht man von einer arrhythmogenen rechtsventrikulären Kardiomyopathie (ARVC).
Was ist ein Sudden Arrhythmic Death Syndrom (SADS)?
SADS beschreibt den plötzlichen, unerwarteten Tod als Folge von Herzrhythmusstörungen und kann Kinder wie Erwachsene treffen. Was wissen wir über die Ursachen? Der Rhythmus des Herzschlags wird durch die elektrischen Ströme in den Herzzellen ausgelöst und kontrolliert, jegliche Störung dieser Abläufe kann theoretisch zum Herzstillstand führen. Ionenkanalerkrankungen können für diese potenziell tödlichen Herzrhythmusstörungen als Ursache in Betracht kommen, wie z. B. das Long QT-Syndrom (LQTS), das Brugada-Syndrom (BrS) oder die Catecholaminerge Polymorphe Ventrikuläre Tachykardie (CPVT). Diese Krankheiten beeinflussen die elektrische Aktivität des Herzens, nicht jedoch seine anatomische Struktur. Im Rahmen einer Autopsie erscheint das Herz somit unauffällig. Wenn also keine Ursache für den unerwarteten Tod zu finden ist, selbst nach einer Obduktion, wird der Tod meist einem SADS zugeschrieben. Falls eine genetische Ursache für das SADS verantwortlich sein sollte, kann die genetische Prädisposition vom betroffenen Elternteil auf die Nachkommen vererbt werden. Die Chance, die Genveränderung zu erben beträgt dann 50%. Allerdings muss nicht jeder, der die Genveränderung trägt auch erkranken. Es gibt zudem prophylaktische Maßnahmen, die –nach entsprechender Diagnosestellung das Risiko an der Erkrankung zu versterben senken.
Genetik: sind andere Mitglieder meiner Familie gefährdet?
Bei genetischen Erkrankungen ist es generell wichtig, dass eine Familie, in der eines ihrer Mitglieder an den Folgen einer vermutlich erblichen Krankheit gestorben oder betroffen ist, über die Hintergründe aufgeklärt und klinisch untersucht werden. Eine genetische Familienuntersuchung ist bei einem positiven Mutationsnachweis (eine mögliche Mutation, die zu der Krankheit führen kann) bei dem Verstorbenen und/oder typischer Anamnese und eventueller klinischer Symptomatik bei Familienangehörigen indiziert. Die Kenntnis über eine Ionenkanalerkrankung beim Verstorbenen kann helfen, die Ursachen eines plötzlichen Todesfalles aufzuklären und ermöglicht es, gezielte Maßnahmen zu ergreifen. Zum einen können so potentiell bedrohte Personen erkannt werden und es kann eine frühzeitige Behandlung erfolgen, zum anderen kann auf diese Weise auch das Risiko einer möglichen Erkrankung ausgeschlossen werden.
Es ist verständlich, dass, neben aller Trauer, der Verdacht auf eine genetische Krankheit zu Sorgen und Ängsten in den Familien führt. Die Entscheidung, ob beim Träger der Genvariante präventive Maßnahmen angebracht sind obwohl er keine Krankheitssymptome aufweist, ist schwierig und verlangt vom Arzt, dem Patienten und der Familie, mit der neuen und oft schwer verständlichen Information richtig umzugehen. In diesem Fall ist ein multidisziplinäres Team aus Kardiologen, Genetikern ggf. weiteren Fachdisziplinen sowie eine humangenetische Beratung von entscheidender Bedeutung, um umgehend die klinischen und ggf. genetischen Untersuchungen zu veranlassen und die Patienten adäquat beraten zu können.
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