Zu Gast in der Audiologischen Akustik

Wenn man Prof. Dr.-Ing. Uwe Baumann zuhört, wie er über seine Profession und Passion, die medizinische Akustik, spricht, eröffnet sich eine faszinierende Welt voller erstaunlicher Fakten rund um das Hören. 

“Bei der Hälfte der normalhörenden Menschen sendet das Gehör ein andauerndes Pfeifen aus”, erklärt Prof. Dr.-Ing. Baumann. Dieses Pfeifen ist sehr schwach, aber unter bestimmten Bedingungen kann man es wahrnehmen – etwa bei starken Druckveränderungen, wenn sich die Frequenzlage der Aussendung minimal verschiebt." Im Innenohr sitzen hochsensible Haarsinneszellen, die sich kontinuierlich bewegen und schwache Schallsignale verstärken. Normalerweise blendet das Gehirn diese Schwingungen aus, sodass sie nicht bewusst wahrgenommen werden.

Interdisziplinäres Forschungsfeld
Die Erforschung von Hörvorgängen, die Diagnose und Therapie von Hörstörungen sowie die technische Versorgung hörgeschädigter Menschen mit (implantierbaren) Hörgeräten oder Cochlea-Implantaten sind die Kernaufgaben der Audiologischen Akustik. Seit 2006 leitet Prof. Dr.-Ing. Baumann diesen Bereich. Mit seinem Hintergrund in Elektrotechnik und Medizintechnik bringt er die ideale Kombination von Wissen mit, um die physikalischen und biologischen Effekte des Hörens zu erforschen. “An der Technischen Universität München hatte ich einen inspirierenden Mentor, der sich nicht nur mit elektroakustischen Systemen, sondern auch mit der Informationsverarbeitung im Gehör beschäftigt hat”, erinnert sich Prof. Dr.-Ing. Baumann. “Diese interdisziplinäre Herangehensweise war damals etwas Besonderes und hat mich tief beeindruckt.”

Von der Bastelaufgabe zur Präzisionstechnologie
Zu Beginn seiner Karriere war die Messtechnik in der medizinischen Akustik noch stark experimentell. “Wir haben Geräte selbst entwickelt, weil es auf dem Markt nichts Vergleichbares gab”, berichtet der 63-Jährige. “Die akustischen Aussendungen des Gehörs lassen Rückschlüsse auf die Funktion des Innenohres zu. Sie sind allerdings extrem schwach, oft unter zehn Dezibel – das ist weniger als ein Flüstern. Solche Signale zu messen, erfordert hochsensible Technik.”

Heute sind die Methoden vielfältig und präzise – von der Hirnstammaudiometrie über die Drehstuhluntersuchung im Rahmen der Gleichgewichtsdiagnostik bis hin zu Untersuchungen im schalltoten Raum. Dieser besondere Raum, entwickelt unter Leitung von Prof. Dr. rer. med. Dipl.-Ing. Tobias Weißgerber, Professor für klinische und experimentelle Audiologie und stellvertretender Leiter der Audiologischen Akustik, erlaubt mithilfe von 128 Lautsprechern und VR-Technologie eine exakte Simulation von Alltagssituationen und -geräuschen. Störschallquellen wie Straßenlärm oder die Geräusche von Haushaltsgeräten können an beliebigen Stellen im Untersuchungsraum generiert werden, um das Sprachverstehen von Patientinnen und Patienten in Alltagsumgebungen zu testen oder die Signalverarbeitung von Hörgeräten oder Cochlea-Implantaten zu evaluieren.

Ein Schwerpunkt von Prof. Dr.-Ing. Baumann und seinem Team liegt in der Optimierung des kombinierten elektrisch-akustischen Hörens. Ziel ist es, nur die Teilbereiche des Gehörs oberhalb von etwa 500 Hz elektrisch zu stimulieren, die die Patientinnen und Patienten nicht mehr wahrnehmen. Bereiche unterhalb dieser Frequenz werden akustisch übertragen. Studien des Schwerpunkts an der Universitätsmedizin Frankfurt konnten zeigen, dass diese Methode insbesondere bei Störgeräuschen die Hörqualität deutlich verbessern kann.

Neu im Repertoire ist eine Posturographie-Plattform, die mittels Sensoren die Gewichtsverlagerung der Patientinnen und Patienten misst und so eine präzise Analyse des Gleichgewichts erlaubt. Das Gleichgewicht des Menschen ist maßgeblich vom Innenohr gesteuert.

Bei dem piept's wohl
Doch nicht immer ist aufwendige Technik erforderlich. Prof. Dr.-Ing. Baumann erinnert sich an eine Begegnung mit einem West-Highland-Terrier, dessen Ohren so starke Schallaussendungen produzierten, dass sie hörbar waren. “Dieser Hund hatte kein Problem mit seinem Gehör – im Gegenteil: Sein außerordentlich gutes Gehör war der Grund für die starken akustischen Emissionen.” Solche Phänomene entstehen durch hocheffiziente Prozesse im Gehör, bei denen Signale zwischen Sinnes- und Nervenzellen ausgetauscht werden.

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