Die Therapie von Marcus J.
Marcus J. bezeichnet sich als Glückskind. Untrügliche Anzeichen: Als er ein lebensbedrohliches Hirnaneurysma erleidet, wird Marcus J. am Universitätsklinikum Frankfurt mit einer seltenen Therapiekombination erfolgreich behandelt. Seine Lebenspartnerin begleitet ihn durch die schwere Zeit, obwohl sich das Paar kurz zuvor getrennt hatte. Marcus J. übersteht die Erkrankung ohne neurologische Defizite und kann einen Tag vor Weihnachten das Krankenhaus verlassen.
Ein Dienstagmorgen Ende November 2022 im Landkreis Aschaffenburg. Marcus J. ist hochzufrieden. Er hat bereits alle Weihnachtsgeschenke besorgt, der Monatsabschluss ist erledigt, und die Vorfreude auf die Adventszeit steigt. Nur dass er mit rasenden Kopfschmerzen aufgewacht ist, trübt seine Stimmung. Als er sich an seinem Computer einloggen will, bemerkt seine Freundin Ulrike M., dass etwas mit ihm nicht stimmt. Marcus J. hängt mit der Nase über der Tastatur, weil er die Buchstaben nicht erkennt. Außerdem hat er unbemerkt Wasser verschüttet, und er sucht sein Handy, das direkt vor ihm liegt. Zurück ins Bett und die Kopfschmerzen auskurieren, ist Marcus J.s erster Gedanke. Zum Glück ist Ulrike M. anderer Meinung. Die Symptome kommen ihr so gravierend vor, dass sie darauf besteht, Marcus J. in ein Krankenhaus zu fahren. Als sich der 52-Jährige auf dem Weg dorthin fünfmal übergeben muss, dämmert auch ihm, wie lebensbedrohlich die Situation ist.
In einer Klinik in Alzenau wird festgestellt, dass Marcus J. ein Hirnaneurysma erlitten hat, das sofort behandelt werden muss. „Von einem Aneurysma spricht man, wenn die Wand einer Arterie an einer Stelle nachgibt und sich nach außen wölbt. Heftige Kopfschmerzen sind die Folge“, erklärt Prof. Dr. Marcus Czabanka, Direktor der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Frankfurt. „Wenn das Gefäß reißt, wie bei diesem Patienten geschehen, kommen häufig Übelkeit und Erbrechen dazu. Dann ist eine unverzügliche Therapie erforderlich.“
Der Patient wird nach zwei Zwischenstationen in das Universitätsklinikum Frankfurt verlegt. Denn hier führen Expertinnen und Experten der Neurochirurgie und der angeschlossenen Disziplinen eine spezielle Therapiekombination durch, zu der nur wenige Kliniken in Europa in der Lage sind. Prof. Dr. Czabanka erläutert die Vorgehensweise: „Das Hirnaneurysma wird entfernt und ein extra-intrakranieller Bypass eingesetzt. Das bedeutet, dass eine Schlagader, die außerhalb des Schädels liegt und die Kopfhaut durchblutet, über eine kleine Öffnung an der Schläfe mit einem Hirngefäß im Schädelinneren verbunden wird. Durch diese Überbrückung wird die Durchblutung des Gehirns wiederhergestellt.“ Anschließend erfolgte in einem interdisziplinären Therapieansatz eine sogenannte Coilembolisation durch OÄ Dr. Fee Keil vom Institut für Neuroradiologie. Bei diesem Verfahren wird das Aneurysma mit Hilfe eines Mikrokatheters und einer Platinspirale von innen verschlossen und das krankhaft veränderte Gefäß damit ausgeschaltet. Bislang gibt es nur wenige Publikationen, in denen die außergewöhnliche Therapie aus extra-intrakraniellem Bypass und Aneurysma-Coiling beschrieben ist.
Marcus J. ist nach einem Jahr noch immer erstaunt, wie gut und schnell das Ärzteteam der Klinik für Neurochirurgie in dieser Notfallsituation gehandelt hat. „Prof. Dr. Czabanka und das gesamte betreuende Team am Universitätsklinikum Frankfurt haben ein fantastisches Ergebnis erreicht, für das ich ihnen unendlich dankbar bin“, sagt Marcus J. Der Patient hat keine dauerhaften motorischen Einschränkungen erlitten, und man merkt ihm ebenso wenig sprachliche Defizite an.
Mit der Therapie in der Neurochirurgie war es allerdings nicht getan. Einige Monate später wurde bei Marcus J. ein Eingriff am Herzen vorgenommen. Im Zuge der Aneurysma-Behandlung war festgestellt worden, dass der neurochirurgische Notfall auf eine Entzündung der Herzklappen zurückzuführen war. „Marcus J. hat an einem sogenannten mykotischen Aneurysma gelitten. Es entsteht aufgrund einer bakteriellen Infektion. In diesem Fall hat die Entzündung der Herzklappen kontinuierlich Bakterien im Körper verteilt, was letztendlich zu dem Aneurysma im Gehirn geführt hat. Deshalb musste in einem zweiten Schritt auch das Herz von Herrn J. versorgt werden“, erklärt Prof. Dr. Czabanka. „Mykotische Aneurysmen sind extrem selten. Leider gehen sie im Gegensatz zu anderen Aneurysmen mit einer hohen Dynamik einher. Sie verändern sich innerhalb kurzer Zeit schnell. Auch bei Marcus J. wurde die Einblutung rasch größer, sodass eine unverzügliche neurochirurgische Versorgung erforderlich war.“ Weit häufiger sind allerdings Aneurysmen, die nicht durch Bakterien, sondern durch Rauchen und Bluthochdruck verursacht werden.
Obwohl diese Faktoren das Aneurysma von Marcus J. nicht verursacht haben, hat er die Erkrankung zum Anlass genommen, gesünder zu leben: Ernährungsumstellung, mehr Bewegung und vor allem weniger beruflicher Stress. Inzwischen freut sich der Projektleiter auf sportliche Betätigung und darauf, seine Synapsen anzuregen. Brettspiele sind seit Jahrzehnten seine große Leidenschaft, und in der Reha hat er Jonglieren gelernt, um die Feinmotorik zu trainieren. Marcus J. musste erst wieder lernen, in seinen Körper hineinzuhorchen und nicht hinter jedem unbekannten Zucken eine Erkrankung zu vermuten. „Man verliert das Selbstverständnis für seinen Körper. Ich hatte nach der Aneurysma-Operation das drängende Bedürfnis, zu überprüfen, ob ich wie gewohnt zurechtkomme, ob Handgriffe und kognitive Fähigkeiten noch so funktionieren wie früher. Das ist einer der Gründe, warum ich nach der OP das Krankenhaus möglichst schnell verlassen wollte.“ Seine Freundin setzte sich dafür ein, dass er am 23. Dezember nach Hause entlassen wurde. Dort kam Marcus J. wie erhofft mit allem gut zurecht. „Ich bin ein Glückskind, das wusste ich schon immer“, sagt Marcus J. „Dass Ulrike mir durch ihre beherzte Reaktion das Leben gerettet, und dass sie mich durch die gesamte Krise begleitet hat, obwohl wir uns zwei Tage vor meiner Hirnblutung getrennt hatten, ist einfach Wahnsinn.“
Zur Glückssträhne haben nun auch die erfolgreichen Therapien im Universitätsklinikum Frankfurt beigetragen. Sowohl in der Neuro- als auch in der Herzchirurgie konnte bei Marcus J. das optimale medizinische Ergebnis erreicht werden. Eine künstliche Herzklappe ist ihm dank hoher ärztlicher Expertise erspart geblieben. Dass die Therapiekombination aus extra-intrakraniellem Bypass und Aneurysma-Coiling so gut angeschlagen hat, war für Marcus J. das schönste Weihnachtsgeschenk. An das Versteck der Ende November gekauften Weihnachtspräsente konnte er sich auch nach seiner Heimkehr noch erinnern. Nach der aufregenden Vorweihnachtszeit in 2022 wird es bei Marcus J. in diesem Jahr hoffentlich besinnlicher zugehen. Am bevorstehenden Heiligabend wollen Ulrike M. und Marcus J. übrigens gemeinsam feiern. Merry Christmas!