Die Therapie von Paula Bach
Begriffe wie „stereotaktische Laserablation“ und „komplex-fokaler Anfall“ gehen Paula Bach leicht über die Lippen. Die 30-Jährige hat ihr halbes Leben mit Epilepsie verbracht. In dieser Zeit ist sie selbst zur Expertin geworden, die andere Betroffene berät. 2021 unterzog sie sich am Universitätsklinikum Frankfurt einer Gehirnoperation, die in Europa erst seit wenigen Jahren angewendet wird. Die Therapie hat Paula Bach neue Lebensqualität beschert.
Paula Bach war 14 Jahre, als sie zum ersten Mal einen epileptischen Anfall erlitt und einige Tage ins Koma fiel. Der Auslöser für den Anfall war wahrscheinlich eine Gehirnentzündung, eine sogenannte Enzephalitis. Zwei Jahre lang blieb das erschreckende Erlebnis ein Einzelfall, dann kamen die Anfälle häufiger. Dennoch vergingen fünf Jahre, bis die Diagnose feststand.

„Oft dauert es Jahre bis zur Epilepsie-Diagnose, insbesondere wenn die Patientin oder der Patient keine großen Anfälle hat“, bestätigt Prof. Dr. Felix Rosenow, Leiter des Epilepsiezentrums am Universitätsklinikum Frankfurt. „Die sogenannten generalisierten Anfälle, bei denen beide Gehirnhälften betroffen sind, gehen in den meisten Fällen mit Bewusstseinsverlust und Krampfanfällen einher. Diese epileptischen Symptome nehmen Außenstehende als typisch für die Erkrankung wahr. Es gibt aber weitere, verschieden ausgeprägte Formen von Epilepsie.“
Generalisierte Epilepsien treten bei Erwachsenen seltener auf. Häufiger sind sogenannte fokale Epilepsien mit fokalen Änfällen, die nur einen bestimmten Teil des Gehirns betreffen. Hier unterscheidet man zwei Arten: Bei einem fokalen Anfall mit eingeschränktem Bewusstsein nehmen die Betroffenen den Anfall nicht bewusst wahr und können sich später nicht daran erinnern. Meistens reagieren sie in dieser Zeit nur bedingt auf Ansprache. Diese Anfallsform beobachtet man am häufigsten. Daneben gibt es den fokalen Anfall, der bewusst erlebt wird und häufig nicht lange andauert. Er wird als Aura bezeichnet und wird nur vom Patienten selbst bemerkt.
Paula Bach kennt beide Arten fokaler Anfälle. Vor ihrer Operation hatte sie fünf bis sechs Auren täglich. „Oft war eine Körperhälfte wie eingeschlafen und kribbelte“, erzählt die Juristin, die in Mannheim wohnt und in Frankfurt arbeitet. Auch Gänsehaut identifizierte sie als ein Anfallssymptom. Wenn sich Gänsehaut einseitig bemerkbar macht, ist sie häufig auf der gleichen Seite, auf der auch der Ursprung für den Anfall im Gehirn lokalisiert wird. „Im Vergleich zu den Anfällen mit eingeschränktem Bewusstsein, bei denen ich auch häufiger gestürzt bin, sind die Auren eher harmlos“, erklärt Paula Bach. Jahrelang wurde sie mit verschiedenen Antiepileptika behandelt, die aber nicht zur Anfallsreduzierung oder -freiheit geführt haben. „Zweidrittel der von Epilepsie Betroffenen können mit Tabletten ein relativ normales Leben führen“, sagt Prof. Rosenow, „bei einem Drittel schlägt die Medikation jedoch nicht ausreichend an. Frau Bach gehörte leider dazu.“

2019 nahmen die schweren Anfälle bei Paula Bach zu, so dass nach Alternativen zur medikamentösen Therapie gesucht wurde. Der Vorteil einer fokalen Epilepsie: Wenn ein bestimmter Teilbereich des Gehirns als Anfallsherd identifiziert werden kann, ist unter Umständen eine Operation eine Therapiealternative. Anhand eines Video-EEG – mithilfe der Elektroenzephalographie (EEG) kann die elektrische Aktivität des Gehirns gemessen und bildlich dargestellt werden – sowie zwei invasiven EEGs konnten die Ärzte eine linksseitige Hippocampussklerose als Ursache der Anfälle diagnostizieren. „Der Hippocampus ist die Struktur des Gehirns, mit der wir uns Dinge merken, insbesondere akustische Informationen“, erklärt Prof. Rosenow. „Patientinnen und Patienten, die eine linksseitige Hippocampusschädigung haben, haben also häufig Probleme mit dem Gedächtnis.“

Paula Bach hatte Glück, dass sie am Universitätsklinikum Frankfurt auf eine Operationsmethode stieß, bei der die Gewebeschädigung des Hippocampus minimal-invasiv ausgeschaltet und damit das Gedächtnis bestmöglich geschont werden konnte: die stereotaktische Laserablation. Mittels eines winzigen Lochs im Schädel und einer stereotaktisch gesteuerten (also bild- und computerassistierten) Kanüle wird tiefliegendes Gewebe gezielt erhitzt und so ausgeschaltet. Das Verfahren wurde in den USA entwickelt und ist dort seit 2011 zugelassen, in Europa wurde es vor vier Jahren zertifiziert. Das Universitätsklinikum Frankfurt ist das erste Klinikum in Deutschland, das die innovative Therapie seit 2020 in Kooperation mit ausgewählten gesetzlichen Krankenkassen anbietet. Paula Bach gehört zu den ersten Epilepsie-Patientinnen, die mit dieser minimal-invasiven Lasertechnologie behandelt wurden. An dem komplexen Eingriff war ein interdisziplinäres Team aus Spezialistinnen und Spezialisten des Epilepsiezentrums und aus der Neurochirurgie, der Neuroradiologie und der Anästhesie beteiligt. „Das Risiko für funktionelle Defizite nach diesem Eingriff, insbesondere Gedächtnisstörungen, sind verglichen mit einem konventionellen chirurgischen Eingriff deutlich reduziert“, berichtet Prof. Rosenow. „Bei Frau Bach ist das Ergebnis erfreulicherweise besser, als wir es nach einer offenen neurochirurgischen Operation vermutet hätten.“

Die Gedächtnisleistung der Patientin wird in regelmäßigen Abständen in neuropsychologischen Untersuchungen überprüft. Das geschieht mit Wortlisten und Zahlenreihen, die sich die Patientin einprägen soll. „Die neuropsychologischen Untersuchungen empfinde ich als etwas frustrierend, weil ich nicht in allen Kategorien gut abschneide“, meint Paula Bach. „Allerdings steht im Arztbericht sinngemäß auch, dass meine kognitive Flexibilität, die Wortflüssigkeit und das visuelle räumliche Arbeitsgedächtnis durchschnittlich sind. Über die Beurteilung ,durchschnittlich‘ freue ich mich sehr, denn das bedeutet nichts anderes als ,normal‘.“
Die stereotaktische Laserablation hat Paula Bach ein Stück Normalität zurückgebracht. Von Beginn an war klar, dass durch die Operation eine Anfallsfreiheit voraussichtlich nicht erreicht werden kann, aber die Anfälle sind deutlich weniger geworden und deutlich weniger schwer. „Ich habe jetzt wochenlang keine stärkeren Anfälle und nur leichte Auren“, sagt Paula Bach, „damit kann ich gut leben“.

Durch die Operation hat sie so viel Energie zurückgewonnen, dass sie mithilfe von anderen Betroffenen daran arbeitet, die Erkrankung besser im öffentlichen Bewusstsein zu verankern und den Betroffenen praktische Hilfestellung zu geben. „Selbst Rettungskräfte und Polizei wissen oft nicht Bescheid über Epilepsie“, erzählt Paula Bach, „obwohl Epilepsien weltweit zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen zählen.“ „An Epilepsie leiden zu jedem Zeitpunkt 0,7 Prozent der Bevölkerung“, erklärt Prof. Rosenow. „Das sind in Hessen ungefähr 42.000 Menschen.“ Trotzdem hat Paula Bach schon viele ahnungslose Rettungssanitäter und Polizistinnen erlebt. „Ich kann gar nicht mehr zählen, wie häufig ich von Polizisten und Sanitäterinnen für drogenabhängig gehalten wurde“, erzählt die Epilepsie-Betroffene. „Inzwischen kennen mich natürlich viele. Einige Polizisten in Mannheim werden rot, wenn sie mich sehen, weil sie mich irrtümlich für drogenabhängig erklärt haben – aber jetzt grüßen sie mich immer freundlich“, fügt sie grinsend hinzu.
Ihren Humor hat sich Paula Bach trotz aller Widrigkeiten erhalten. Den Slogan „Zuckst Du noch oder tanzt Du schon?“, den die Junge Deutsche Epilepsievereinigung auf eine Tasche gedruckt hat, hat sie kurzerhand mit dem Logo des eigenen Vereins verziert. Mit „Epilepsie Empowerment Deutschland e.V.“ kämpft Paula Bach für Nachteilsausgleiche von Epilepsie-Patientinnen und -Patienten. Unter anderem soll die Personengruppe das Merkzeichen G im Schwerbehindertenausweis erhalten. Das würde die Epilepsie-Betroffenen, die keine Führerscheinerlaubnis erhalten, dazu befähigen, den ÖPNV zu günstigen Konditionen zu nutzen. Paula Bach hat sich mit ihrer Erkrankung nie versteckt, aber durch die erfolgreiche Operation am Universitätsklinikum Frankfurt hat sie sich den öffentlichen Raum und ein Stück Lebensqualität zurückerobert.