Die Neuroradiologie: viel mehr als nur Bildgebung
Mitte September ist das Institut für Neuroradiologie vom westlichen Rand des Campus der Universitätsmedizin Frankfurt in den Neubau auf dem Kerncampus gezogen. Hier, im Untergeschoss von Haus 23D, bringen spezialisierte Ärztinnen und Ärzte Licht ins medizinische Dunkel. „Wir schauen nicht nur auf die Bilder, die wir generieren, sondern wir erklären sie, wir strukturieren Befunde und liefern häufig den entscheidenden Hinweis für Diagnose und Therapie“, erklärt Oberarzt Dr. Christoph Polkowski.
Das diagnostische Rückgrat für die Neuro-Disziplinen
Die Neuroradiologie ist weit mehr als ein Dienstleister für das Liefern von Bildern des Gehirns und Rückenmarks. Sie ist das diagnostische Rückgrat in nahezu allen Bereichen der neurologischen und neurochirurgischen Versorgung. So hilft sie beispielsweise bei der Abklärung epileptischer Anfälle durch hochauflösende MRTs, die kleinste Veränderungen im Gehirn sichtbar machen. Diese Erkenntnisse ermöglichen zielgerichtete neurochirurgische Eingriffe, etwa die Entfernung krankhaften Gewebes – mittlerweile auch minimal-invasiv mittels Laser und unter MRT-Kontrolle – mit dem Ziel, Anfallsfreiheit oder zumindest eine bessere Anfallskontrolle zu erreichen.
Ein Alleinstellungsmerkmal der Universitätsmedizin Frankfurt ist zudem die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Epilepsie und anderen neurologischen Erkrankungen. Hierfür stehen ein pädiatrisches, interdisziplinäres Team und ein eigenes MRT für Kinder bereit.
Wichtige Partnerin bei Multipler Sklerose und Tumoren
Auch bei entzündlichen Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose spielt die Bildgebung eine Schlüsselrolle: „Sie kann zur Diagnosesicherung beitragen, hilft bei der Abgrenzung zu anderen möglichen Ursachen der Beschwerden und liefert wichtige Informationen zur Verlaufsbeurteilung und Therapieentscheidung“, berichtet Dr. Christophe Arendt, geschäftsführender Oberarzt des Instituts.
Ähnlich zentral ist die Neuroradiologie in der Onkologie. Hirntumoren wie Glioblastome oder Hirnmetastasen werden über den gesamten Krankheitsverlauf hinweg begleitet – von der ersten Verdachtsdiagnose über die Operationsplanung bis zur Nachsorge. „Bei neuroonkologischen Patientinnen und Patienten ist es besonders wichtig, Veränderungen frühzeitig zu erkennen und zu beurteilen, ob es sich um Tumorprogress oder Therapieeffekte handelt. Hier liefert die Bildgebung entscheidende Hinweise“, erklärt Professorin Dr. Elke Hattingen, Direktorin des Instituts für Neuroradiologie. In den wöchentlichen neuroonkologischen Konferenzen besprechen Expertinnen und Experten aus verschiedenen Disziplinen gemeinsam mehr als 50 Fälle.
Schnelle Hilfe im Notfall
Aber auch in akuten Fällen wie Schädel-Hirn-Traumata, Wirbelsäulenverletzungen oder bei Verdacht auf Schlaganfall ist die Neuroradiologie rund um die Uhr im Einsatz. Innerhalb kürzester Zeit müssen Blutungen, Ödeme, Frakturen oder Infarkte erkannt werden. Denn Nervengewebe verzeiht keinen Zeitverzug.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der interventionellen Schlaganfallbehandlung: Neben der intravenösen medikamentösen Therapie, die durch die Kolleginnen und Kollegen der Neurologie erfolgt, wird bei einem Gefäßverschluss im Gehirn durch das Team der Neuroradiologie eine sogenannte Thrombektomie durchgeführt, also das Gerinnsel mithilfe eines Katheters unter Röntgendurchleuchtung mechanisch entfernt. Dr. Fee Keil, stellvertretende Institutsdirektorin und leitende Oberärztin der interventionellen Neuroradiologie, erklärt: „Auch bei großflächigen Infarkten, die früher als Ausschlusskriterium galten, kann eine Thrombektomie sinnvoll sein, wenn die Bildgebung es hergibt.“ Die Zahl der Schlaganfallbehandlungen an der Universitätsmedizin Frankfurt steigt deutlich: Allein 2024 wurden in Frankfurt rund 230 Thrombektomien durchgeführt – doppelt so viele wie noch vier Jahre zuvor.
Gemeinsam zur besten Lösung
Das Gehirn reagiert besonders empfindlich auf Durchblutungsstörungen – deshalb ist die Behandlung von Gefäßveränderungen besonders anspruchsvoll. In interdisziplinären Fallkonferenzen besprechen Expertinnen und Experten aus Neuroradiologie, Neurologie, Neurochirurgie und Gefäßchirurgie gemeinsam jeden Fall individuell. Gefäßmissbildungen, Engstellen und Aneurysmen werden gelegentlich auch als Zufallsbefund entdeckt. Werden sie frühzeitig erkannt, können sie durch einen Kathetereingriff oder eine Operation ausgeschaltet werden. Ein spezialisiertes Team aus sechs Neuroradiologinnen und -radiologen führt täglich feinste Kathetereingriffe durch – oft unter hohem Zeitdruck, denn bei vielen neurologischen Notfällen zählt jede Minute.
Ob bei chronischen Erkrankungen oder im Notfall – die Neuroradiologie ist aus der modernen Medizin nicht wegzudenken. „Wir leben von der interdisziplinären Zusammenarbeit – und stehen bereit, auch nachts und am Wochenende, um neurologische und neurochirurgische Erkrankungen präzise zu diagnostizieren und wenn nötig sofort zu behandeln“, fasst Dr. Polkowski zusammen.