Die Therapie von Ulrich V.
Bei der Nierentransplantation erhalten Patientinnen und Patienten in der Regel ein zusätzliches Organ. Die erfolgreiche Transplantation bedeutet aber auch einen Gewinn an Freiheit und Lebensqualität. Im Fall des Patienten Ulrich V. wurde sie außerdem zum Zeichen einer besonderen Wertschätzung unter Brüdern.
Aller guten Dinge sind drei: Die meisten Empfängerinnen und Empfänger einer Spenderniere haben nach der Transplantation drei Nieren. Die eigenen Organe verbleiben funktionslos an ihrem angestammten Platz im Flankenbereich des Körpers. Die Spenderniere wird in der Beckenregion direkt unter der Haut des rechten oder linken Unterbauchs implantiert. „Der Grund für die Position des neuen Organs im sogenannten kleinen Becken ist, dass der Zugang zu den Blutgefäßen und Organen, an die die Niere angeschlossen wird, hier wesentlich einfacher ist“, erklärt Prof. Dr. Dr. Thimoteus Speer, Direktor der Medizinischen Klinik 4: Nephrologie des Universitätsklinikum Frankfurt. „Wenn die eigenen Nieren keine Probleme bereiten, verbleiben sie im Körper. Sie zu entfernen, wäre ein unnötiger operativer Eingriff."
Auch Patient Ulrich V. lebt seit Kurzem mit drei Nieren. Der 52-Jährige leidet an Zystennieren. Bei dieser erblich bedingten Erkrankung schränken stetig wachsende Zysten die Nierenfunktion ein, bis es zum chronischen Nierenversagen kommt. „Eine gesunde menschliche Niere wiegt ungefähr 150 Gramm“, erläutert Prof. Speer. „Bei Patientinnen und Patienten mit polyzystischen Nierenerkrankungen kann das Organ auf mehrere Kilo anwachsen. Die Zysten verdrängen das eigentliche Nierengewebe, sodass die Nierenleistung immer weiter reduziert wird.“ Vorausgesetzt, dass frühzeitig eine medikamentöse Therapie eingeleitet wird, kann das Wachstum verzögert, allerdings nicht gestoppt werden. Ulrich V. wurde zwei Jahre lang mit einem Medikament behandelt. 2022 wurde dann eine Dialyse unumgänglich.
Die Blutreinigung wird im Verlauf der meisten chronischen Nierenerkrankungen zur Notwendigkeit. Sie ist für die Betroffenen zeitaufwändig und schränkt die Bewegungsfreiheit ein. Bevor Ulrich V. mit der Dialyse begonnen hat, ist er mit seiner Familie noch einmal in den Urlaub gefahren. „Mir war klar, dass Reisen, wenn ich erst einmal in der Dialyse bin, nur mit langfristiger Planung realisierbar sind“, sagt Ulrich V. Die Dialyse ist kein hundertprozentiger Ersatz für gesunde Nieren, denn sie übernimmt die Nierenfunktion nur für einen begrenzten Zeitraum. „Die Dialyse erfolgt typischerweise dreimal wöchentlich für jeweils vier Stunden. Eine gesunde Niere arbeitet jedoch sieben Tage die Woche an 24 Stunden“, erklärt Prof. Speer. „Bei dieser Diskrepanz wird deutlich, dass die Dialyse kein vollständiger Ersatz ist. Die derzeit beste Nierenersatztherapie ist die Transplantation.“
Ulrich V. bestätigt, dass er seine Bewegungsfreiheit erst durch die erfolgreiche Transplantation zurückgewonnen hat – trotz der Einschränkungen, die eine Transplantation mit sich bringt. Denn Transplantierte müssen lebenslang Immunsuppressiva einnehmen, damit das neue Organ nicht abgestoßen wird. Ernährungsgewohnheiten müssen umgestellt werden. Beispielweise sind Rohmilchkäse, rohes Fleisch und Zubereitungen mit rohen Eiern tabu, denn die darin enthaltenen Bakterien oder Pilze erhöhen das Infektionsrisiko. Sorgfältige Hygiene leistet einen weiteren Beitrag zur Gesundheit von Transplantierten. „Hygieneregeln, die wir alle uns während der Corona-Pandemie antrainiert haben, gehören jetzt dauerhaft zu meinem Leben“, bilanziert Ulrich V., „aber ich denke, dass diese Maßnahmen und Einschränkungen im Vergleich zu meinem Gesundheitszustand vor der Transplantation das geringere Übel sind.“
Ulrich V. hatte das Glück, eine Lebendspende zu erhalten, obwohl er nicht damit gerechnet hatte. „Für mich war die Totspende die einzige Option“, berichtet Ulrich V. „Ich habe nie in Betracht gezogen, auf Menschen in meiner Umgebung zuzugehen und sie um eine Organspende zu bitten.“ In der Regel warten Nierenerkrankte in Deutschland aufgrund des großen Spendermangels durchschnittlich acht bis zehn Jahre auf ein neues Organ. Bei Ulrich V. ging es schneller, weil sein Bruder sich als Spender zur Verfügung stellte.
Für eine Lebendorganspende muss, laut Gesetz, eine emotionale Bindung zwischen Spender und Empfänger bestehen. Meistens handelt es sich um Verwandte, aber auch enge Freunde können zu Spendern werden. Im Vorfeld wird genau überprüft, ob die Spende auf einen freiwilligen Entschluss zurückgeht. Dank intensiver Aufklärung liegt die Lebendspendenquote am Universitätsklinikum Frankfurt bei erfreulich hohen 30-40 Prozent. Ein Psychologe erkundet vor der Transplantation im Einzelgespräch, ob ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Spender und Empfänger besteht. Im Anschluss überzeugt sich die Ethikkommission der Landesärztekammer von der Freiwilligkeit der Spende. Die doppelte Absicherung soll Zwänge verhindern, aber auch die Spender über potenzielle Risiken aufklären.
„Für einen chronisch nierenkranken Patienten ist die Transplantation oft alternativlos. Er ist deshalb eher bereit, das Risiko einer Operation einzugehen“, meint Ulrich V. „Für den Spender liegt die Latte bedeutend höher. Denn er muss die Entscheidung treffen, ob er sich als gesunder Mensch einer größeren Operation unterzieht.“ Umso dankbarer ist Ulrich V. seinem Bruder. „Er hat mir das größte Geschenk gemacht, das man im Leben bekommen kann“, sagt Ulrich V. „Deshalb wäre es für mich das Schlimmste gewesen, wenn mein Körper das Organ, das mein Bruder mir geschenkt hat, abgestoßen hätte. Ich war sehr glücklich, als die Ärzte nach der Operation zu mir kamen und sagten, dass der Eingriff gut verlaufen, und dass die Prognose günstig sei.“
Das positive Ergebnis konnte in diesem Fall nur dank zusätzlicher medizinischer Maßnahmen erzielt werden, denn bei den Brüdern lag eine sogenannte AB0-inkompatible Transplantation vor. Das bedeutet, dass die Blutgruppen von Spender und Empfänger nicht kompatibel sind. „Wir führen in der Klinik für Nephrologie seit vielen Jahren AB0-inkompatible Transplantationen durch. Allerdings geht mit dieser Konstellation eine besondere Planung einher“, so Prof. Speer. „Beim Organempfänger wird eine spezielle Infusionstherapie und eine besondere Art der Blutwäsche durchgeführt, die bereits vier Wochen vor der Transplantation startet. Dabei werden die Antikörper aus dem Blut entfernt, die sich gegen die Blutgruppe des Spenders richten.“ Dieses Verfahren ist nur im Fall einer Lebendspende möglich, wenn also genügend zeitlicher Vorlauf für die Operation besteht.
Jede Patientin und jeder Patient erhält eine individuelle Vorbereitung. Prof. Speer und sein Team konnten dennoch an einigen Stellschrauben drehen, um den gesamten Prozess zu beschleunigen und gleichzeitig den Komfort für die Betroffenen zu steigern. Zu diesem Zweck wurde das Vorbereitungsverfahren neu strukturiert. „Wir wissen, dass es für Patientinnen und Patienten sehr wichtig ist, dass die Entscheidung, ob eine Transplantation möglich ist, nicht zu lange dauert“, erklärt Prof. Speer. „Für die Transplantation sind viele Untersuchungen wie Computertomografie und Ultraschall notwendig. Wir bieten künftig am UKF einen ambulanten Diagnostiktag an. Er soll den Aufwand für die Patientinnen und Patienten reduzieren, damit sie keine getrennten Termine mehr beim Kardiologen, Angiologen, Radiologen etc. vereinbaren müssen. Mit dem Diagnostiktag können wir an einem Vormittag alle Untersuchungen vor Ort abhandeln, wozu normalerweise mehrere Facharzttermine nötig sind.“
Das Transplantationszentrum am Universitätsklinikum Frankfurt, das größte in Hessen, kann mit seinen hohen Erfahrungswerten die bestmögliche Hilfe und Therapie anbieten. Bei einer Nierentransplantation arbeiten hier insbesondere die Kliniken für Allgemeinchirurgie und für Nephrologie Hand in Hand. „Je mehr Transplantationen in einem Zentrum durchgeführt werden, desto sicherer ist es für die Patientinnen und Patienten“, bestätigt Prof. Speer. Das positive Ergebnis bei Ulrich V. ist dafür das beste Beispiel. Seine neue Niere arbeitet „exzellent“. Sie bleibt ein wunderbares Geschenk für den Transplantierten, seinen Bruder und für die beteiligten Spezialistinnen und Spezialisten des Universitätsklinikum Frankfurt.